„Ausgeträumt“: Charles Bukowskis letzter Roman
Ein Mann, der mit 55 Jahren noch immer dem Kindertraum von einer Sportler- oder Pianistenkarriere nachhängt, seine Miete nicht bezahlen kann und den Tag wahlweise mit Wodka oder mit Sake beginnt, ist ein Versager. Keiner weiß das besser als Nick Belane, heruntergekommener Privatdetektiv in Charles Bukowskis letztem Roman „Ausgeträumt“. Wenn er seinen Honorarsatz nennt, sagen die Klienten „kein Problem“. Wenn er in den Spiegel schaut, entdeckt er „nichts als Niederlagen und Depressionen.“ Seine Lebensbilanz kommt klar auf den Punkt: „Wozu war der Mensch auf der Welt? Zum Sterben. Und was heißt das? Rumhängen und warten.“
Daß der Sensenmann eine atemberaubende Frau ist, macht die Sache mit dem Sterben nicht verlockender. Von „Lady Death“ bekommt Belane den Auftrag, den vermeintlich verstorbenen Schriftsteller Céline aufzuspüren, denn möglicherweise hat sie 1961 bloß den falschen Mann erwischt.
Es bleibt nicht bei dem Todeskandidaten. Neben der obligaten untreuen Ehefrau, die es zu beschatten gilt, muß Belane sich auch noch mit einer Gruppe Außerirdischer herumschlagen, die die Erde offenbar kolonisieren wollen. Hinzu kommt die Suche nach einem ominösen „Red Sparrow“, von dem niemand weiß, wer oder was das eigentlich ist. (Bukowskis Verlag heißt „Black Sparrow Press“.)
Vier Aufträge, kein Durchblick. Während Belane grießgrämig durch L.A. taumelt, um ein paar Spuren zu verfolgen und dabei keiner Schlägerei aus dem Weg geht, muß er feststellen, daß seine Fälle sich miteinander zu verknoten scheinen. Hin- und hergerissen zwischen Selbstmitleid („Ich war nutzlos“) und Selbstbetrug („Ich war der beste Schnüffler von L.A.!“), im Dauerclinch mit Barmixern und finsteren Schlägertypen, wird er getrieben von Entwicklungen, die er nicht in der Hand hat. Nick Belane ist ein dilettierender Anti-Held, der sich durch eine Krimihandlung schlägt, wie sie skuriler kaum seinn könnte.
Mit „Ausgeträumt“ knüpft Charles Bukowski an die Tradition der Schwarzen Serie an. Harte, einsame Männer kämpfen im Citymoloch Los Angeles, einem Mahagonny der Verlockung und Gewalt, ums Überleben. „Smog, wenig Sonne, seit Monaten kein Tropfen Regen“, dazu sexuelle Flaute – dieser amerikanische Alptraum läßt sich nur mit einigem Sarkasmus ertragen. Doch wo Bukowski die Mythologie und die Ikonen des Noir mit all seinen zwielichtigen Bars und undurchsichtigen, fatalen Frauen aufgreift, da ironisiert er sie zugleich. Seine deftigen, aber selbst in ihren derbsten Momenten noch elegant gebauten Dialoge könnten ebenso wie die verschrobene, bisweilen recht makabre Situationskomik auch von einem Quentin Tarantino ersonnen sein, an dessen letzten Film der amerikanische Titel des Buches, „Pulp“ ebenso wie an die Tradition der Groschenromane erinnert.
Auch sprachlich pflegt und persifliert Bukowski zugleich die schwarze Tradition. Zwar schreibt er bewusst im Stil von Chandler und Hammett, haucht dem Mythos aber einen neuen, übelriechenden Atem ein. Die Figur Belane gerät nicht zu einem bloßen Philip-Marlowe-Abklatsch, sie hat einen eigenen Kopf, der gegen Türe und Wände rennt, und so einiges steckt wohl auch vom Autor selbst in ihr.
„Ausgeträumt“ ist der augenzwinkernde Abschied Bukowskis vom Literaturbetrieb. „Früher“, so läßt er seinen Céline parlieren, der Lady Death tatsächlich ein Schnippchen hatte schlagen können, „war das Leben der Autoren interessanter als ihre Bücher. Heute ist beides uninteressant.“ Bukowskis letztes, postum veröffentlichtes Buch ist aber, neben aller Ironie, vor allem eine sehr private Auseinandersetzung mit dem Sterben: „Verdammt noch mal, der Tod lauerte überall“, sinniert Nick Belane, der sich immer mehr zu einer Art ironisiertem Über-Ich Bukowskis entwickelt, „wenn ich im Supermarkt dem Jungen zusehe, der meine Sachen eintütet, dann stelle ich mir vor, daß er sich zusammen mit dem Klopapier, den Bierdosen und der Hähnchenbrust selber ins Grab stopft.“
Letztes Jahr wurde Charles Bukowski selbst von „Lady Death“ erwischt.
JAN NOEVENTHIEN, August 2, 1995
Charles Bukowski: Ausgeträumt. Aus dem Amerikanischen von Carl Weissner. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 183 Seiten, 36 Mark.