Die Wüste lebt

Cormac McCarthys „Die Abendröte im Westen“

Daß er sich in seinen Büchern bloß an »Hack-, Schiltz- und Schneideszenen« ergötze, wurde William Faulkner einmal von Wyndham Lewis vorgeworfen. Cormac McCar­thy, den sie in Amerika »den legitimen Erben« Faul­k­ners nennen, hat mit seinem imposanten Frühwerk »Die Abendröte im We­sten«, das nun bei Rowohlt erschienen ist, einen Roman geschrieben, dessen Inhalt sich treffender kaum beschreiben läßt.

1849, nach dem Mexikanischen Krieg, schlägt sich eine Gruppe amerikanischer Despe­rados durch die »weite, blut­getränkte Wüste« der mexika­nischen Prärie. Sie verdingen sich als Skalpjäger, ein Trupp »wie aus dem nackten Fels ge­triebene We­sen, namenlos und an sich selbst gefesselt dazu be­stimmt, gorgonenhaft raub­gie­rig, verloren und stumm durch die schaurigen Wüsten Gondwa­nas zu streifen in ei­ner Zeit, als es noch keine Namen gab und jedes gleich alles war.«

Die Landschaften Mexikos, die diese finstere Prozession durchstreift, beschreibt McCarthy mit einer mächtigen, überwältigen­den Prosa. »Die Wüste, in der so viele zugrunde gegangen sind, ist weit und verlangt nach einer weiten Seele; zu­gleich aber ist sie unendlich leer. Sie ist rauh, sie ist kahl.« McCarthy hat diese weite Seele. Die Prärie be­schwört er sie mit einer Intensität, als ob sie, dem Unter­gang geweiht, nur in seiner Sprache fortleben könnte. Die Wüste lebt.

Doch vieles, was lebt, machen McCarthys Helden wieder zunichte. Die Sonne macht keinen Unterschied zwischen den Menschen und den Tieren, die sie quält, so lassen auch die Männer bald alle menschlichen Skrupel fallen. Was nicht Wüste ist, muß verwüstet werden. Grimmig schildert der Autor ihren bluttriefenden Feldzug, eine endlose Folge besinnungsloser Massaker.

»Krieg gab es zu allen Zei­ten. Er hat auf den Menschen gewartet, noch ehe dieser in Erscheinung trat«, erklärt der Anführerer der Bande, ein Richter namens Holden, der allerdings eher ein Teufel zu sein scheint. »Krieg ist Gott«, verkündet er sein Credo.

»Das Gesetz der Moral« hat in dieser Religion keinen Platz, es diene bloß dazu, »die Starken zugunsten der Schwa­chen herabzuwürdigen. Das Ge­setz der Geschichte unter­gräbt es bei jeder Gelegen­heit.« Kein Zweifel, nur die­ses Gesetz vollzieht der Richter, denn »wenn Gott die Entartung der Menschheit auf­halten wollte, hätte er es nicht längst getan?«

So gerät die Gewalt den Männern zur bloßen, dumpfen Existenzbestätigung, das Gesetz des Tötens erhebt sich zu einem absurden kategorischen Imperativ. Das alles ist verstörend, obszön – und vollends realistisch: Kann die Erobe­rung eines ganzen Kontinents je anders von­statten gegangen sein als in einer solchen Or­gie der Bru­talität?

Es ist sicher nicht John Waynes Version der amerikani­schen Geschichte, die McCar­thy hier geschrieben hat, und die Landschaft ist nicht ganz dieselbe wie in der Zigaret­tenwerbung. Die Geschichte jener »Geisterreiter, fahl vom Staub« ist ein drasti­scher, schonungsloser Wider­spruch gegen die Mythi­sierung und Verklä­rung des »Wilden Westens« durch die Traumindu­strie Holly­woods. McCarthy erweckt die andere, blut­klamme Seite des amerikani­schen Traumes zum Leben.

»Die Abendröte im Westen« ist, wie die Männer, von denen es handelt, ein Buch bar jeder Sentimentalität und so un­gastlich wie die Prärie, die sie durchreiten. Und anders als Faulkner, der der Geschichte im Bewußtsein der Protagoni­sten nachspürte, bleibt McCarthy durchgehend ein di­stanzierter Beobachter, der die Geschichte einpräg­sam, doch sachlich, von einem äußeren Standort aus erzählt.

Es ist bei­leibe kein Vergnü­gen, an der Reise dieser hoffnungslo­sen Reiter teilzu­nehmen. Bald gerät die Lektüre zur bloßen Strapaze, aber Strapazen sind es, von denen das Buch handelt: Immer neue Berge und Täler, die in sengender Hitze durchzogen, immer neue Dörfer, deren Bewohner in ungebremsten Blutrausch hingemetzelt werden. Man fühlt sich schmutzig und betäubt nach diesem Buch, besudelt von einem gewaltigen Ereignis. Man ist zum Zeugen geworden von etwas, das man lieber nicht gesehen hätte, doch der Blick ließ sich nicht wenden.

von JAN NOEVENTHIEN

Cormac McCarthy: Die Abend­röte im Westen. Rowohlt. 374 Seiten. 45 Mark

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