Laurence Bergreens Al-Capone-Biographie
Mit 21 Jahren hat Alphonse Capone die wichtigsten Voraussetzungen für seine Karriere geschaffen: Er ist ein solider Buchhalter, und er hat schon einen Mann getötet. Als ein befreundeter Gangster dem jungen Mann 1921 das Angebot macht, in Chicago gemeinsam eine Alkoholschmugglerbande aufzubauen, zögert er nicht lange. Die Prohibition, das staatliche Alkoholverbot, verspricht gewaltige Gewinne, und tatsächlich entwickelt sich das gemeinsame Unternehmen schon bald zu einem Konzern mit Millionenumsatz.
Den rasanten Aufstieg „Al“ Capones vom Sohn armer italienischer Einwanderer zu einem der mächtigsten Männer seiner Zeit erzählt der amerikanische Journalist Laurence Bergreen in einer ebenso faktenreichen wie unterhaltsamen Biographie. Was sich zunächst wie eine Erfolgsgeschichte liest, endet in der „Irrenzelle“ des Staatsgefängnisses Alcatraz, wo sich Capone und seine Mitgefangenen mit Fäkalien bewerfen.
Bergreen tut gut daran, sich nicht allzu sehr auf eine „Beweisaufnahme“ gegen die Person Capone zu beschränken. Er rekonstruiert zugleich dessen Umfeld: Gegner und Komplizen, Politik und Rechtsstaat im Chicago der zwanziger und dreißiger Jahre, Amerika und seinem kriminellen Mikrokosmos.
Zu jener Zeit erlebt die Unterwelt in den Großstädten einen Umbruch. Die Gangster beginnen, sich zu verbünden und ihre Machenschaften vor allem als Geschäft zu betrachten. Die organisierte Form des Verbrechens verspricht mehr Rendite, mehr Sicherheit und mehr Macht. Eine der treibenden Kräfte dieser Professionalisierung ist Al Capone. Seine Organisation bedient bald alle verbotenen Bedürfnisse: Glücksspiel, Prostitution, Schwarzbrennerei und den Betrieb von illegalen Kneipen und Bars.
Die rapide steigenden Gewinne führen jedoch bald zu Verteilungskämpfen. Während auf offener Straße ein blutiger Bandenkrieg tobt, bemüht sich Capone gegenüber der Öffentlichkeit um eine ehrenwerte Fassade. Er stiftet Suppenküchen für Obdachlose, verteilt großzügig Geschenke und Trinkgelder und legt größten Wert darauf, verschiedene „Gerüchte“ über seine Geschäfte höchstpersönlich in der Presse zu dementieren. Tatsächlich konnten weder Capone noch seine Komplizen jemals eines Kapitalverbrechens angeklagt werden. Sie alle wurden erst nach langen Jahren ihres blutigen Wirkens verurteilt, weil sie es ironischerweise versäumt hatten, ihr kriminelles Einkommen ordnungsgemäß zu versteuern.
Bergreens Recherche fördert viele bislang unbekannte Details zutage. Die bedeutendste Entdeckung ist dabei wohl die Infizierung Capones mit der Neurosyphilis. Diese Krankheit, die schleichend das Nervensystem befällt und ihr Opfer extremen Persönlichkeitsschwankungen unterwirft, hatte sich Capone als junger Mann zugezogen. Der Größenwahn, mit dem er seine Geschäfte zunehmend zu führen schien, bekommt vor diesem Hintergrund eine neue Dimension.
Die Krankheit mag nun die ausufernde Gewalttätigkeit Capones begründen, als Erklärung für seine beispiellose Karriere genügt sie nicht. Capone war nicht zuletzt ein gewitzter Nutznießer einer scheinheiligen Gesellschaft, die seine Bestechungsgelder ebenso gern annahm wie seinen Alkohol. Die gleichen Leute, die ihn zum „Staatsfeind Nr. 1“ erklärten, ermöglichten ihm letztlich erst durch die Prohibition die enormen Umsätze, mit denen er schließlich ganze Polizeireviere und sogar Bürgermeisterwahlen kaufen konnte.
Bergreen gelingt es, seiner Capone-Biographie historische und gesellschaftliche Tiefenschärfe zu geben, doch manchmal übermannt ihn auch die Liebe zum Detail. Dann kapituliert er vor der Macht des Anekdotischen und erweist sich als veritable Plaudertasche, wenn er seine Studie mit bunten Szenenbeschreibungen und kaum belegbaren Dialogen auflockert. Vielleicht hatte er beim Schreiben ja schon den Verkauf der Drehbuchrechte im Kopf, vielleicht ist er auch dem Faszinosum Capone ebenso erlegen wie schon dessen Zeitgenossen. Dem Leser wird es dafür nicht anders ergehen: Bergreens Biographie ist ein beeindruckendes, packendes Stück Zeitgeschichte.
von JAN NOEVENTHIEN
Laurence Bergreen: „Al Capone. Ein amerikanischer Mythos“. Herbig. 495 Seiten, 58 DM.