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Die Wege des Geldes

Es war ein journalistischer Coup ohnegleichen, als die Süddeutsche Zeitung im März 2016 gemeinsam mit weiteren Medien aus 80 Ländern die „Panama Papers“ enthüllte. Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, die die Recherche begonnen und dann gut ein Jahr lang koordiniert hatten, haben sich damit in die Liga der ikonischen Investigativ-Journalisten unserer Zeit katapultiert.

Seymour Hersh, Glenn Greenberg, Bob Woodward, Carl Berstein – die großen Enthüllungsjournalisten verbindet, dass sie sich nicht auf das Schreiben von Zeitungsartikeln beschränkt haben. Und so haben auch die „Gebrüder Obermay/ier“, wie ihr Chefredakteur Kurt Kister die beiden Investigativredakteure nennt, ihre Recherchen mit „Die Panama Papers“ in Buchform veröffentlicht.

Im Mittelpunkt stehen dabei die vielfältigen Enthüllungen über Mächtige und Reiche aus allen Teilen der Welt, die immer wieder auf Briefkastenfirmen in Steueroasen zurückgreifen, um ihre Geldflüsse zu verschleiern und der Besteuerung zu entgehen. Was die Qualität der Recherche ausmacht, ist die strukturelle Erkenntnis, dass eine Briefkastenfirma kein Einzelfall ist, mit dem die normalen, regulierten Wege des institutionaliserten Kapitalverkehrs umgangen werden (und eine Vielzahl von Briefkastenfirmen ist dann eben eine Vielzahl von Einzelfällen), sondern dass das Geflecht aus hundertausenden von Briefkastenfirmen, das die Welt heute umspannt, längst eine voll funktionsfähige Parallelwirtschaft mit ihren eigenen Verkehrsregeln etabliert hat, die längst ebenso ein Teil der Normalität ist wie die IBAN-Überweisung, mit der unsereins das Ferienhaus für den Sommerurlaub bezahlt.

Dass dieses Nebenwirtschaftssystem für den abhängig beschäftigen, Steuern zahlenden Normalbürger nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, ändert nichts an der Tatsache, dass es alltäglich systematisch und umfassend eingesetzt wird, um Gelder aus dem legalen, dokumentierten, regulierten Wirtschaftsraum abzuschöpfen und in eine undokumentierte, unregulierte Nebenwirtschaft zu verschieben, wo es umso effizienter für alle möglichen Zwecke arbeiten kann. Banken und Anwaltskanzleien fungieren hier als Umschlagpukte von einer Welt in die andere. Und längst nicht immer geht es bloß um Steuerhinterziehung bei besserverdienenden Zahnärzten.

Dieses System sichtbar gemacht zu haben, ist das große Verdienst von Obermayer und Obermaier. Wenn sie Kapitel für Kapitel nacherzählen, wie Politiker und Dikatoren, Manager und Kriminelle aus den unterschiedlichsten Gründen Schwarzgelder waschen und verschieben, dann wirkt das auf uns zunächst empörend, dann deprimierend – und irgendwann allerdings auch ein wenig ermüdend. Leider beschränken sich die Autoren zu sehr auf die mühsam ausrecherchierten Einzelfälle und kratzen damit doch allenfalls an der Oberfläche. Was für grundsätzliche Lehren wir aus der Erkenntnis ziehen müssen, dass das, was wir für unser Wirtschaftssystem halten, nur jener Teilbereich ist, den man uns sehen lässt, solche grundsätzlichen einordnenden Fragestellungen, die sichtbar werden ließen, was die vielen Einzelfälle – jenseits der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca – miteinander verbindet, kommen leider ein wenig zu kurz.

Das mag auch dem Entstehungsprozess des Buches geschuldet sein, das parallel zur Vorbereitung der großen Zeitungsenthüllungen entstanden ist und dann ein paar Tage nach dem Big Bang plötzlich und ohne Vorankündigung im Buchhandel auftauchte. Offenkundig ist das Buch unter enormen Zeitdruck nebenher entstanden, weshalb man über manche stilistische Schwächen und auch die mitunter etwas eindimensionale Argumentation hinwegsehen sollte.

Dass das Buch „Die Panama Papers“ eher ein schneller Blick in den Maschinenraum einer Briefkastenfirmen-Fabrik als eine Analyse eines großen Schattenwirtschaftssystems ist, ändert allerdings nichts daran, was für eine logistische Meisterleistung hinter den Enthüllungen steht. Auch hier erlaubt das Buch einige Blicke hinter die Kulissen, und hier ist das Buch vielleicht sogar am spannendsten. Der Aufbau und die Koordination des internationalen Journalisten-Netzwerks, das gemeinsam an den unglaublichen Datenmengen gearbeitet hat, die technischen Herausforderungen, um die Datenflut überhaupt beherrschbar zu machen, hierüber hätte man gerne noch viel mehr gelesen. Aber jede Wette: Diesen Journalistenkrimi werden wir schon bald im Kino bestaunen können.

JAN NOEVENTHIEN (veröffentlicht am 1.7.2016)

Bastian Obermayer, Frederik Obermaier: Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung. Kiepenheuer & Witsch, kartoniert, 352 Seiten, 16,99 Euro

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